Dienstag, 31. Dezember 2013

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Mein Gruß an alle meine LeserInnen zum Jahreswechsel 2013 / 2014 verbunden mit den besten Wünschen für das neue Jahr

gemalt von Anne Anderson 1874-1930

Heute will ich das Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern in Erinnerung rufen. Meine Mutter erzählte es uns immer in der Weihnachtszeit, wir sollten nicht vergessen, dass es auch arme Kinder gab. Ich habe als kleines Mädchen geglaubt, dass wir doch nur nach draußen in die Winterkälte gehen müssten, um eines herein zu holen und zu retten. Ich stand am Fenster und habe darauf gewartet irgendwo den Schein von Streichhölzern zu sehen. Meine Mutter versprach mir, immer darauf zu achten, ob sie ein armes Kind sähe und wenn ja, dann wollte sie es mit zu uns nach Hause bringen. Wir haben nie eines gerettet im übertragenen Sinne, nur ab und zu mal durch eine Geste eine Not etwas gelindert. Als Kind war ich felsenfest davon überzeugt, wir müssten nur eines herein holen, es kann doch bei uns gut leben, es muss nicht in der Kälte sterben. Wie weit ist die Wirklichkeit doch von meinem Kinderglauben entfernt, schade. 



Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Es war entsetzlich kalt; es schneite, und der Abend dunkelte bereits; es war der letzte Abend im Jahre, Silvesterabend. In dieser Kälte und in dieser Finsternis ging auf der Straße ein kleines armes Mädchen mit bloßen Kopfe und nackten Füßen. Es hatte wohl freilich Pantoffel angehabt, als es von Hause fortging, aber was konnte das helfen! Es waren sehr große Pantoffeln, sie waren früher von seiner Mutter gebraucht worden, so groß waren sie, und diese hatte die Kleine verloren, als sie über die Straße eilte, während zwei Wagen in rasender Eile vorüberjagten; der eine Pantoffel war nicht wieder aufzufinden und mit dem anderen machte sich ein Knabe aus dem Staube, welcher versprach, ihn als Wiege zu benutzen, wenn er einmal Kinder bekäme.

Da ging nun das kleine Mädchen auf den nackten zierlichen Füßchen, die vor Kälte ganz rot und blau waren. In ihrer alten Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer und ein Bund hielt sie in der Hand. Während des ganzen Tages hatte ihr niemand etwas abgekauft, niemand ein Almosen gereicht. Hungrig und frostig schleppte sich die arme Kleine weiter und sah schon ganz verzagt und eingeschüchtert aus. Die Schneeflocken fielen auf ihr langes blondes Haar, das schön gelockt über ihren Nacken hinabfloß, aber bei diesem Schmucke weilten ihre Gedanken wahrlich nicht. Aus allen Fenstern strahlte heller Lichterglanz und über alle Straßen verbreitete sich der Geruch von köstlichem Gänsebraten. Es war ja Silvesterabend, und dieser Gedanke erfüllte alle Sinne des kleinen Mädchens.

In einem Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas weiter in die Straße vorsprang als das andere, kauerte es sich nieder. Seine kleinen Beinchen hatte es unter sich gezogen, aber es fror nur noch mehr und wagte es trotzdem nicht, nach Hause zu gehen, da es noch kein Schächtelchen mit Streichhölzern verkauft, noch keinen Heller erhalten hatte. Es hätte gewiß vom Vater Schläge bekommen, und kalt war es zu Hause ja auch; sie hatten das bloße Dach gerade über sich, und der Wind pfiff schneidend hinein, obgleich Stroh und Lumpen in die größten Ritzen gestopft waren. Ach, wie gut mußte ein Schwefelhölzchen tun! Wenn es nur wagen dürfte, eins aus dem Schächtelchen herauszunehmen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger daran zu wärmen! Endlich zog das Kind eins heraus. Ritsch! wie sprühte es, wie brannte es. Das Schwefelholz strahlte eine warme helle Flamme aus, wie ein kleines Licht, als es das Händchen um dasselbe hielt. Es war ein merkwürdiges Licht; es kam dem kleinen Mädchen vor, als säße es vor einem großen eisernen Ofen mit Messingbeschlägen und Messingverzierungen; das Feuer brannte so schön und wärmte so wohltuend! Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen - da erlosch die Flamme. Der Ofen verschwand - sie saß mit einem Stümpchen des ausgebrannten Schwefelholzes in der Hand da.

Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und an der Stelle der Mauer, auf welche der Schein fiel, wurde sie durchsichtig wie ein Flor. Die Kleine sah gerade in die Stube hinein, wo der Tisch mit einem blendend weißen Tischtuch und feinem Porzellan gedeckt stand, und köstlich dampfte die mit Pflaumen und Äpfeln gefüllte, gebratene Gans darauf. Und was noch herrlicher war, die Gans sprang aus der Schüssel und watschelte mit Gabel und Messer im Rücken über den Fußboden hin; gerade die Richtung auf das arme Mädchen schlug sie ein. Da erlosch das Schwefelholz, und nur die dicke kalte Mauer war zu sehen.

Sie zündete ein neues an. Da saß die Kleine unter dem herrlichsten Weihnachtsbaum; er war noch größer und weit reicher ausgeputzt als der, den sie am Heiligabend bei dem reichen Kaufmann durch die Glastür gesehen hatte. Tausende von Lichtern brannten auf den grünen Zweigen, und bunte Bilder, wie die, welche in den Ladenfenstern ausgestellt werden, schauten auf sie hernieder, die Kleine streckte beide Hände nach ihnen in die Höhe - da erlosch das Schwefelholz. Die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und höher, und sie sah jetzt erst, daß es die hellen Sterne waren. Einer von ihnen fiel herab und zog einen langen Feuerstreifen über den Himmel.

Silvester und Feuerwerk "Jetzt stirbt jemand!" sagte die Kleine, denn die alte Großmutter, die sie allein freundlich behandelt hatte, jetzt aber längst tot war, hatte gesagt:"Wenn ein Stern fällt, steigt eine Seele zu Gott empor!"Sie strich wieder ein Schwefelholz gegen die Mauer; es warf einen weiten Lichtschein ringsumher, und im Glanze desselben stand die alte Großmutter hell beleuchtet mild und freundlich da."Großmutter!" rief die Kleine, "oh, nimm mich mit dir! Ich weiß, daß du verschwindest, sobald das Schwefelholz ausgeht, verschwindest, wie der warme Kachelofen, der köstliche Gänsebraten und der große flimmernde Weihnachtsbaum!" Schnell strich sie den ganzen Rest der Schwefelhölzer an, die sich noch im Schächtelchen befanden, sie wollte die Großmutter festhalten; und die Schwefelhölzer verbreiteten einen solchen Glanz, daß es heller war als am lichten Tag. So schön, so groß war die Großmutter nie gewesen; sie nahm das kleine Mädchen auf ihren Arm, und hoch schwebten sie empor in Glanz und Freude; Kälte, Hunger und Angst wichen von ihm - sie war bei Gott.Aber im Winkel am Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit Lächeln um den Mund - tot, erfroren am letzten Tage des alten Jahres. Der Morgen des neuen Jahres ging über der kleinen Leiche auf, die mit den Schwefelhölzern, wovon fast ein Schächtelchen verbrannt war, dasaß."Sie hat sich wärmen wollen!" sagte man. Niemand wußte, was sie Schönes gesehen hatte, in welchem Glanze sie mit der alten Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war.

Andersen, Hans Christian (1805-1875)

2 Kommentare:

  1. Danke liebe Claudia für dieses schöne Märchen, deine Gedanken dazu sind edel, auch wenn es nur ein Märchen ist. Du hast recht, wir können keine Kinder mehr auf diese Art retten, wie du es beschreibst, aber wir können ihnen mehr Zuwendung zukommen lassen. Vor allem vonseiten des Staates ... Dir und deinem Mann wünsche ich auch ein frohes und vor allem ein gesundes neues Jahr. Mögen all eure Wünsche in Erfüllung gehen.
    Ganz liebe Grüße, Margot.

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  2. Liebe Claudia,

    ich habee dieses Märchen von Hans Christian Andersen schon oft gelesen. Gerade zur Weihnachtszeit berühren uns solche Geschichten sehr, weil wir uns wünschen, dass es keine Not, kein Elend mehr auf Erden geben möge.
    Wie Margot schon schrieb können wir Kinder auf diese Art nicht mehr retten, aber jeder Einzelne von uns kann einen Beitrag leisten, um Not zu lindern.

    Ich wünsche dir und deinem Mann von Herzen ein schönes, gesundes und frohes Jahr 2014. Möge es das für euch bereit halten, was ihr euch selbst von ihm erhofft und wünscht.

    Alles Liebe
    Christa

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